Dienstag, 6. November 2012

Berthold der Bussard





Mit herabhängenden Klauen landete Berthold Bussard auf dem starken Ast einer robusten Eiche, hoch oben in deren Krone und faltete seine großen Schwingen auf seinem eleganten Rücken zusammen.
Es war ein schwüler, warmer Sommerabend und die Grillen die sich in der saftig, grünen Wiese versteckten, auf der die Eiche in ihrer ganzen Pracht stand, zirpten alle durcheinander um die Wette.
Der Himmel färbte sich im Westen, wo die Sonne schon halb hinter den hügeligen Wäldern verschwunden war in allen möglichen, warmen Farben des Sommers.
Schwärme von Eintagsfliegen tanzten wild durcheinander über der großen Wiese mit den vielen bunten Blumen durch die warme Abendluft.
Eine kühle Brise strich durch die Wipfel der großen, alten Eiche und die Blätter rauschten rund um Berthold Bussard, der nicht gerade bester Laune mißmutig vor sich hin starrte, während seine Klauen fest um einen Ast geschlungen waren.
Plötzlich landete neben ihm nicht gerade elegant, aber laut flatternd ein großer Rabe, den er nur zu gut kannte. Es war sein guter Freund Randolf Rabe, der ihn mit wachen, frechen Augen musterte, als auch er auf dem Ast gelandet war und seine Flügel ebenfalls zur Ruhe kamen.
„Du siehst aber nicht gerade aus, als hättest du heute einen guten Tag gehabt. Was?“, krächzte er vorlaut.
Berthold war nicht gerade scharf auf Gesellschaft und hätte sich etwas Schöneres vorstellen können, als einen Dialog mit dem steht`s neugierigem, ja zu neugierigem, Randolf Rabe.
Jedoch war er gleichzeitig irgendwie froh, jemanden von seinem Mißgeschick erzählen zu können.
Auch wenn es Randolf Rabe war, der ihm früher oder später sowieso die ganze Story aus dem Schnabel gezogen hätte.
„Du merkst auch alles Randi.“, sagte er.
„Nein, ich hatte wirklich keinen guten Tag.“
„Was ist denn los?“, stocherte der aufgeweckte Rabe sofort weiter und in seiner Stimme vibrierte die Neugier geradezu.
„Ach.“, sagte Berthold Bussard und winkte mit dem linken Flügel ab.
„Ich habe heute im Wald eine meiner wunderschönen Schwungfedern verloren. Guck dir das mal an!“
Unglücklich hob er seinen rechten Flügel in dessen Mitte ein winziger Spalt zu erkennen war und ließ ihn wieder sinken.
„Ach du dickes Ei!“, krächzte Randolf Rabe und fragte in Neugier weiter „Wie hast du denn das gemacht?“
Berthold verdrehte die Augen und knirschte durch den Schnabel: „Elsa Elster hat mal wieder den Luftraum unsicher gemacht. Kam mit irgendwas Glänzendem im Schnabel wie vom wilden Affen gebissen durch den Wald geschossen, ohne zu sehen, wo sie hinfliegt. Die blöde Nuß! Wir sind ordentlich zusammen geknallt, noch ein Stück gemeinsam hinunter getrudelt und da krallt sie sich doch tatsächlich in ihrer Panik in meinen Schwungfedern fest. Irgendwie konnten wir uns Beide wieder fangen, doch leider mußte eine meiner Schwungfedern dran glauben und Elsa verschwand schimpfend zwischen den Bäumen, was ihr Glück war. Hätte ich die zwischen die Krallen gekriegt, hätte sie was erleben können.“
„Die Elsa! Heißer Feger die Tante. Hab sie mal für eine Nacht abgeschleppt. Hatte sich allerdings äußerst tolpatschig angestellt, die Gute. Ist mir ständig vom Ast gekippt. Das passt ja gut zu ihr!“, lachte Randolf los und hüpfte amüsiert auf dem Ast auf und ab von dem etwas Moos dabei abbröckelte, verstummte aber wieder, als er sah, das Berthold dies wohl ganz und gar nicht witzig fand.
Er starrte grimmig hinaus auf die große, bunte Wiese in deren hohen Gras es sich in der Zwischenzeit ein paar Rehe gemütlich gemacht hatten.
„Schon gut, ich wollt ja nicht taktlos sein.
Aber fliegen kannst du doch noch, und die Feder wird auch wieder nachwachsen. Außerdem kannst du Elsa Elster ein saftiges Schmerzensgeld aufbrummen lassen.
Bei dem was die sich jeden Tag zusammen klaut kann das ein ganz schönes Sümmchen werden.“
„Ach was!“, sagte Berthold und schüttelte sein dickes Gefieder. „Ich habe wichtigere Dinge zu tun.“
„So, was denn?“, Randolf wurde sofort wieder Sklave seine Neugier.
Berthold merkte dies wohl und ordnete erst einmal ein paar Federn mit dem Schnabel auf der Brust, die etwas verwegen hinaus standen und genoss es, den ungeduldigen Raben etwas „brüten“ zu lassen.
Schließlich hatte er ihn seit dem letzten Frühjahr nicht mehr gesehen und jetzt war Mitte August. Es hatte sich einiges getan in dieser Zeit.
„Die Frau Gemahlin ist durchgebrannt!“, patzte Berthold Bussard heraus und sah Randolf Rabe dabei an, dem einen seltenen Augenblick lang ausnahmsweise der Schnabel offen stand, ohne dass ein Ton herauskam.
„Was!“, krächzte er laut.
Die Rehe sprangen aus der Blumenwiese dadurch erschrocken auf und verschwanden im angrenzenden Wald, über dem langsam die Dämmerung hereinbrach und eine Amsel erschrocken schimpfend im Dickicht davor ebenfalls verschwand.
„Mit wem?“
„Mit Turbo dem Technotäuberich“, sagte Berthold Bussard, der die Sache wohl schon einigermaßen verdaut hatte, wie es schien.
„Mit Turbo dem Technotäuberich?!“, krächzte jetzt etwas kleinlaut Randolf fassungslos.
„Ja, genau mit dem.“, sagte Berthold ärgerlich.

Turbo der Technotäuberich, wie er hier im Wald genannt wurde, war ein stattlicher Täuberich, der eigentlich im Lüftungsschacht einer modernen Technodiskothek in der Stadt lebte und ein ziemlich aufregendes Leben haben mußte, wie es einige Schnäbel hier behaupteten.
Gelegentlich war er ab und an auch mal hier in diesen wunderschönen, ruhigen Wald. Wie sich nach längerer Zeit herausstellte, wollte er Drogen in dunklen, verlassenen Spechthöhlen, oder in undurchdringlichem Dickicht verkaufen.
Früher hatte er eigentlich nichts mit Drogen am Hut. Doch eines Tages pickte er im Hinterhof der Diskothek, wo er ja lebte, bei der Nahrungssuche aus Versehen einen Krümel einer Extasypille auf.
Ab da war es um ihn geschehen! Mit der Zeit probierte er alles durch, was er an Drogen ergattern konnte und das war gar nicht so schwer, wenn man sich während der Nacht und des Morgengrauens zwischen den Technojüngern und Ravern aufhielt, die hier und da schon mal was fallen ließen.
Irgendwann wurde Turbo so süchtig, dass er einmal im Sturzflug hinabsank und in seiner Gier im Flug einen Technofreak die ganze Line Kokain, die er sich an einem dunklen Eckchen auf einer Motorhaube zurechtgelegt hatte vor der Nase wegzog.
(Dem armen Kerl glaubt bis heute noch kein Mensch.
Er nahm aber seither nichts mehr zu sich.)
Später bekam Turbo Täuberich dann heraus, woher das ganze Zeug stammte und da er in seiner Vergangenheit eine flinke Brieftaube war, war er natürlich gut fit und kannte sich in der Welt aus.
So kam es, daß er oft die Grenzautobahnen Belgiens zu Holland abflog und die Grünstreifen neben den Leitplanken absuchte. Nach allen möglichen Drogen, die irgendwelche Konsumenten nach dem Einkauf in Holland in Belgien in ihrer Panik wieder aus dem Autofenster warfen, wenn ihnen die Polizei auf den Fersen war.
Turbo brachte diese üppigen Funde in sein Versteck in der Stadt.
So kam es, daß Turbo die Technotaube zu einem der größten Drogendealer weit und breit wurde.

Randolf Rabe gewann langsam wieder die Fassung und sah hinüber zu Berthold Bussard, der mittlerweile in den grauen Schatten der hereinbrechenden Nacht nur noch schwer zu erkennen war.
In der Ferne schrie ein Uhu und machte sich bereit für die nächtliche Jagt nach Mäusen und anderen Kleintieren. Der Beginn der Nacht brachte auch Kühle und die ersten Sterne begannen am Himmel zu leuchten.
„Sag mal Berthold, wie konnte es denn soweit kommen? Ich meine, dass sie dir einfach mir nix dir nix durchbrennt.“
„Sie hatte wohl den Schnabel voll vom dem Leben mit mir.
Zu viele Schicksalsschläge und ich habe sie gelangweilt.
Das stand jedenfalls in dem Abschiedsbrief, den sie oben an die alte Tanne am See, auf der unser zu Hause war, geheftet hatte.“
„Undankbares Miststück!“, erboste sich Randolf Rabe.
„Tja, sie ist vor vier Wochen abends weggeflogen und sagte, sie wolle noch „Zum goldenen Eichelhäher“ einen Happen essen und etwas trinken.
Es würde spät werden. Am nächsten Morgen fand ich nach der Jagd den Brief.
Herbert Habicht erzählte mir dann am Nachmittag, dass er beobachtet habe, wie Turbo Technotäuberich die ganze letzte Nacht um sie herum gebalzt ist und gegurrt hat ohne Ende. Da war mir alles klar.“
„Was meintest du mit Schicksalsschlägen?“, fragte Randolf in einem erneuten Anfall von Neugier.
„Na ja, du weißt schon die Sache mit Karla Kuckuck im Frühjahr. Die hat uns Beiden sehr zu schaffen gemacht.“
„Ach ja, dass war kurz davor, als ich diese fünf Sterne Autobahn entdeckt habe.
Da gab es einfach die leckersten Sachen und man mußte gar nichts tun.
Einfach nur warten und „Peng“ das Essen war da! Es wäre ein Verbrechen gewesen, nicht eine Zeit lang dort zu leben. All die köstlichen Tierkadaver…
Aber das mit Karla Kuckuck habe ich noch mitbekommen.“, sagte Randolf.
Berthold fand es etwas geschmacklos, dass sein Freund Randolf Monate lang von Unfallopfern gelebt hatte. Er selbst bevorzugte das eigenständige Jagen.
Er hatte sich damals so darauf gefreut es mal seinem eigenen Nachwuchs beizubringen. Sich geschickt und blitzschnell auf die ahnungslose Beute am Boden zu stürzen, nachdem man zuvor endlose Kreise über das Jagdrevier zog, um dann ganz unerwartet zuzuschlagen.
Doch da hatte ihm Karla Kuckuck einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Karla Kuckuck! Die absolute Emanze in der Vogelwelt. Ein Teufelsweib! Selbstständig bis in die letzte Daune machte sie das ganze Frühjahr und den Sommer über nichts anderes, als sich zu amüsieren.
Spaß haben und ausgehen bis in die Puppen.
Auch die Vogelmänner der verschiedensten Arten und Gattungen wechselte sie so, wie sich Tag und Nacht abwechselten.
Während alle anderen Vögel damit beschäftigt waren, das ganze Frühjahr über zu balzen, Nester zu bauen, Eier zu legen, ihre Jungen durchzubringen, auf die Jagd zu gehen und zu singen.
Was die gefiederten Geschöpfe halt sonst so tun.
Doch Karla Kuckuck ließ es sich gut gehen.
Ließ sich aushalten und zwar das ganze Jahr hindurch.
Natürlich fragten sich alle Tiere im Wald einschließlich des schlauen Fuchses,
der dazu auch nichts genaues sagen konnte, wie zum Teufel Karla Kuckuck es fertig brachte, trotz ihres lockeren Lebens ihre Art zu erhalten.
Denn Kuckucke düsten ja genug durch Wald und Flur und frech waren die. Oh ja!

Auch Berthold Bussard hatte sich in diesem Frühjahr heftig ins Zeug gelegt.
Hatte eine Feldmaus nach der anderen gejagt um sie der attraktiven, gutaussehenden, eleganten Bussarddame zum Geschenk zu machen, die er eines Tages bei seinen schwerelosen Flügen über Wald und Feld auf einem Telefonmast sitzen sah und sich augenblicklich in sie verliebte.
Die Sonne ließ ihr wunderbar gepflegtes Gefieder in ihrem Licht glänzen und nur ein paar vereinzelte Däunchen guckten frech von ihrem überaus erotischen Brustkorb hervor, die lustig im Wind tanzten.
Anspruchsvoll war sie auch noch! Nicht, daß er ihr pro Tag ein Dutzend Feldmäuse bringen mußte, damit sie endlich begatten durfte, nein, man konnte es Madame auch nicht beim Bau des Horstes Recht machen.
Er hatte extra eine hohe, dichte Tanne gesucht in deren Krone er es fertig brachte, ein wunderschönes, stabiles Nest zu bauen, dass später wirkte, als wäre es in die Äste hinein gewachsen. Es war von den im Wind rauschenden Ästen der Tanne sehr gut geschützt.
Doch Frau Hoch wohl geboren Bussard paßte hier und da nicht ein Ästchen, das aus dem Nest hervorstach und sie gab sich nach endlosem Genörgel und herum Gemecker erst zufrieden, als auch das kleinste Ästchen des Horstes perfekt verflochten war.
Mit genügend Federn ausgepolstert musste es natürlich auch werden und Berthold riskierte einiges, als er beim Bauern nebenan in schwierigen Flugmanövern den Hühnern zu diesem Zwecke die Federn ausrupfte.
Er war nicht ganz unschuldig daran, daß Hannelore Henne innerhalb kürzester Zeit ein nackiges, rosa Hinterteil hatte, was sie automatisch zur Henne No. One bei Hugo dem Hahn machte, der nun den ganzen Tag hinter ihr her war.
Schließlich war auch endlich das mit dem Nest geritzt und nun folgte der schönste Teil an der ganzen Sache. Zumindest für Berthold Bussard.
Es ging an das Befruchten der Eier, die dieses Nest nun bald füllen sollten und er hatte einen Heidenspaß dabei. Hätte er es nicht besser gewußt, hätte er gedacht, nur fliegen sei schöner.
Während des Theaters, das Frau Bussard beim Legen der Eier dann an den Tag legte, bereute er die Stunden der Begattung allerdings schnell wieder.
Doch als dann nach viel Geschrei drei wundervolle Eier im Horst lagen, war er froh, seinen Mann gestanden zu haben.
Nach einigen Tagen jedoch ging das ganze Theater von neuem los.

Obwohl Berthold Bussard den lieben, langen Tag damit beschäftigt war, Mäuse und andere Kleintiere zu jagen, um sie dann seiner Liebsten- obwohl er sich da gar nicht mehr so sicher war- zu bringen, die im Horst nichts weiter zu tun brauchte, wie die Eier zu bebrüten, nörgelte sie den ganzen Tag herum.
Es sei zu warm, es wäre langweilig, das Nest war ihr zu unbequem und so weiter.
Eines Abends kam es sogar zu einem heftigen Streit.
Sie hatte es satt, den ganzen Tag auf den Eiern zu sitzen, wollte ausgehen und das nicht alleine, nein, mit Berthold Bussard, der sie fragte, wer um Himmels Willen in dieser Zeit auf die Eier aufpassen sollte.
Da kam auf einmal Karla Kuckuck ins Spiel, die beim Putzen ihres Federkleides ein paar Äste oben drüber auf der gleichen Tanne den Streit mitbekam.
Sie flatterte herunter und bat den beiden Streitenden an, so lange auf die Eier aufzupassen wie sie eben unterwegs waren.
Berthold wollte gerade seine Bedenken und sein Mißtrauen zum Ausdruck bringen, da fuhr im seine Bussardbraut auch schon über den Schnabel, das sei eine prima Idee und schob die ach so hilfsbereite Karla Kuckuck hinein in das Horst, die reichlich Mühe hatte mit ihrem kleinen Leib alle Eier zu bedecken.
Auf eines setzte sie sich und um die anderen Beiden schlang sie ihre Flügel rechts uns links.
Mit einen unguten Gefühl in der Magengegend verließ Berthold Bussard an diesem Abend den Horst um mit seiner Bussardfrau auszugehen.
Als sie spät in der Nacht zurückkamen, und es Berthold Bussard einige Mühe gekostet hatte, seine sturzbetrunkene Angetraute nach Hause zu fliegen um sie dann hoch zum Horst zu schaffen, war Karla Kuckuck verschwunden.
Er tastete in der Dunkelheit nach den Eiern, nachdem er seine lallende Frau gegen den harzigen Stamm der Tanne gelehnt hatte.
Sie waren alle noch da. Gott sei Dank noch warm.
Karla Kuckuck konnte noch nicht lange fort sein.
Nur eines der Eier kam ihm viel kleiner vor, als die andern Beiden.
Er pflanzte seine bereits schnarchende Bussardfrau, die nun total mit dem Harz der Tanne verklebt war, auf die Eier in den Horst und steckte selbst den Kopf ins Gefieder.
Er schlief froh darüber, dass alles noch einmal gut gegangen war, ein.
Hätte er gewußt, daß am Fuße der großen, alten Tanne sich ein Igel gerade schmatzend über die Überreste eines zerbrochenen Ei`s hermachte, das Karla Kuckuck höchstpersönlich aus dem Nest befördert hatte um ihr eigenes hinein zu pflanzen, wäre seine Nacht wohl nicht so ruhig verlaufen.
Am nächsten Morgen wachte er von dem Geschrei zweier frisch geschlüpfter Bussardkücken auf und dem seiner Frau.
Er freute sich riesig und ging sofort auf die Jagd.
Es verging eine stressige Woche um alle Mäuler zu stopfen und schließlich schlüpfte auch das dritte Junge, welches ziemlich klein, nackt und hässlich war.
Doch sie nahmen ihre Kinder so an, wie sie nun mal waren.
Als er drei Tage später von der Nahrungssuche zurückkam, fand er seine Bussardfrau Sturzbäche heulend neben dem Horst in dem nur noch das aller kleinste der Jungen gierig den hungrigen Schnabel aufriß und nach der Beute verlangte, die Berthold vor Schreck hatte fallen lassen.
Niemand konnte sich erklären, was genau passiert war.
Fest stand, daß Madame Bussard sich nur einen Moment weg gedreht hatte um etwas Kot über den Rand des Horstes Hinaus zu befördern, womit sie Artur Amsel den Tag verdarb, dem dieser genau auf dem Kopf landete.
Als sie sich herum drehte, war nur noch eines der jungen Küken da.
Sie hatten nicht sehr lange Zeit, zum trauern, denn das ihnen übrig gebliebene Junge war so unersättlich und gefräßig, so das auch bald Frau Bussard mit auf die Jagd gehen mußte und nach einigen Wochen war das Junge Flüge, hatte Federn war allerdings sehr, sehr klein und sah ganz und gar nicht aus wie ein Bussard.
Eines Tages kam Randolf Rabe zu Besuch.
Berthold hatte ihn beim Trinken am Bach getroffen, kam mit ihm ins Gespräch und lud ihn zu sich nach Hause ein. Als dieser dann dort angekommen fragte, was denn der kleine Kuckuck im Horst suchte, war der Groschen gefallen und das Geschrei groß.

Mittlerweile war die Nacht über die große, alte Eiche und die schöne Blumenwiese hereingebrochen.
Die beiden gefiederten Freunde saßen in der Krone der Eiche von der Dunkelheit umhüllt. Am Himmel leuchteten die Sterne, die Bäume des Waldes rauschten im Spiel des nächtlichen Spätsommerwindes, der für den bereits bevorstehenden Herbst Kraft zu sammeln schien. Die Grillen gaben immer noch ihr abendliches Konzert und ab und zu huschte eine Fledermaus durch die Nacht.
Randolf Rabe gähnte und sagte: „Ja, das mit Karla Kuckuck war ein Ding! Selbst ich war so geschockt, dass ich erst mal diesen Urlaub bei den Pappeln bei der Autobahn machen mußte.
Was ist denn in der Zwischenzeit noch passiert? Schlimmer konnte es doch nicht mehr kommen. Oder?“
„Hast du eine Ahnung!“, stöhnte Berthold Bussard in die Dunkelheit und begann zu erzählen:
„Ja mein lieber Randolf. Zunächst war es nach diesem Vorfall so, dass mir die ganze Schuld an dem Geschehen von meiner Frau Gemahlin in die Schuhe geschoben wurde.
Sie ließ ihren ganzen Frust an mir aus.
Etwas später entschlossen wir uns dann, da der Sommer ja noch einige Zeit Bestand hatte, wieder ganz von vorne anzufangen.
Jeden Tag versuchten wir den Akt der Befruchtung zu vollziehen.
Aber anfänglich hatte ich etwas Probleme mit der Potenz. Ich war so erschöpft von den Ereignissen der letzten Wochen.
Doch eines Tages klappte es dann doch.
Sogar so gut, dass ich dazu im Stande war, diese verrückten Menschen zu ignorieren, die mit Hilfe irgend welcher komischen Dinger, die sie in die Stämme schlugen mit uns in gleicher Höhe in den Kronen der benachbarten Bäume saßen und uns den lieben, langen Tag zu beobachten schienen.
Sie hielten sich dabei seltsam blinkende Dinger mit einer langen Schnauze vor das Gesicht, welches in allen möglichen Farben des Waldes angemalt war und sie hatten sich überall Äste hin gesteckt.
Später jedoch störten sie so sehr, daß Frau Bussard sich nicht mehr so auf das Legen der Eier in den Horst zu konzentrieren wußte.
Es klappte einfach nicht. Nach einiger Zeit waren die Menschen dann verschwunden und Frau Bussard weigerte sich in diesem Jahr noch für Nachwuchs zu sorgen.
So hingen wir den ganzen Sommer nutzlos herum.
Wir zogen in der Höhe des Himmels unsere Kreise und ließen uns vom Wind treiben.
Wir sahen zu, wie der Bauer Hubert das Gras der Wiesen mit einer großen Maschine abschnitt und einige Zeit später mit einer anderen Maschine große, runde Heuballen machte, auf denen man Abends wunderbar sitzen konnte, um nach Beute Ausschau zu halten.
Eines Abends traf ich ein paar Spatzen am Bach, die mir aufgeregt erzählten, dass sich abends hinter dem Bauernhaus von Bauern Hubert auf dem großen Walnußbaum ganze Gruppen verschiedenster Vögel des Waldes trafen.
Wie sie berichteten, konnte man durch das Fenster des Bauernhauses mit ansehen, was sich die Frau des Bauern in einem so genannten „Fernseher“ ansah.
Ab und zu konnte man da die seltsamsten Tiere sehen, erzählten sie aufgeregt.
Also beschloß ich, mit Frau Bussard dort hin zu fliegen, um unseren langweiligen Alltag etwas aufzufrischen.
Als wir dort ankamen, war schon sehr viel los auf dem Walnußbaum.
Nach einiger Zeit hatten auch wir ein Plätzchen zwischen den Artgenossen gefunden und tatsächlich schien alles da zu sein, was Flügel hatte.
Sogar der große Uhu hatte sich schon vorzeitig aus seiner Baumhöhle hierher begeben, obwohl die Sonne noch nicht ganz versunken war.
Plötzlich trat Stille ein auf dem großen Walnußbaum, denn die Bäuerin hatte den kleinen Fernseher eingeschaltet und alle starrten gebannt auf das Geschehen.
Was da zu sehen war, schlug dem Faß wohl den Boden aus.
Meine Frau Gemahlin ließ einen entsetzten Schrei los und ließ vor Schreck das lang erwartete Ei fallen, daß am Boden zerbrach.
Ich selbst war sprachlos, während um uns herum die Häupter herum flogen und uns neugierige Augen ungläubig musterten.
Dann brach das Gelächter los. Ich konnte es nicht fassen!
In diesem Kasten war ich zu sehen. Berthold Bussard! In den wohl intimsten Momenten meines Daseins mit meiner Bussardbraut und das Schlimmste war, genau in den Momenten, in denen ich nichts auf die Reihe bekam und mich Frau Bussard einen „Schlappschwanz“ schimpfte.“

Berthold Bussard hielt inne, er schluckte einmal schwer. Randolf Rabe war gerade dabei, sich wieder etwas zu sammeln und krächzte dann kleinlaut: „Und dann hat sie dich sitzen lassen?“
„Genauso war es.“, bestätigte Berthold Bussard in der Dunkelheit „Und das Schlimmste daran ist wohl, dass ich bei allen weiblichen Wesen in der Vogelwelt für den Rest meines Lebens unten durch bin.“
Todesunglücklich starrte Berthold in die Dunkelheit.
Seine Bussardfrau war mit einem daher gelaufenen Täuberich durchgebrannt und sein Ruf war auch ruiniert.
Wie tief konnte man noch sinken? Aber er hatte auch etwas daraus gelernt.
Dass er sich in Zukunft, was immer ihm die Zukunft bringen würde, fortan auf sein Gefühl verlassen wollte.
Hätte er das nämlich getan, hätte Karla Kuckuck in dieser Nacht nicht sein Leben zerstört.
Er würde sich nie mehr über den Schnabel fahren lassen, wenn er etwas zu sagen hatte.
Er würde auf seine Meinung beharren um sie durchzusetzen, wenn er das Gefühl hatte, dass sie richtig war.
Nie mehr würde er sich von einem Partner klein machen lassen wie ein Zaunkönig um durch die Löcher zu schlüpfen, die das Leben dann noch für ihn übrig ließ.
Vor alle Dingen würde er nie mehr ignorieren, wenn ihn etwas störte, so wie er es bei den Menschen in den Bäumen getan hatte.
Er würde dafür Sorge tragen, dass es ihm gut ging in seinem Leben, ohne das er ständig zurück stecken musste.

Als die Sonne am nächsten Morgen im Osten golden über den Horizont lugte, faßte Berthold einen Entschluß.
Er verabschiedete sich von seinem Freund Randolf Raben, breitete seine mächtigen Schwingen aus und hob von dem starken Ast der großen, alten Eiche ab.
Flog los, zu einem anderen Feld, einem anderen Wald, wo er sein Leben wieder neu beginnen wollte und all seinen neuen Vorsätzen treu bleiben wollte.
Randolf Rabe sah seinem alten Freund nach, der mit der aufgehenden Sonne im Rücken hoch am Horizont langsam verschwand.
Er wünschte ihm alles Gute.
Neben ihm auf dem Ast landete Elsa Elster und sah ihn verführerisch an.
Und so beschloß auch Randolf, sein Leben zu genießen.

(von Tanja Darimont)

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